Archiv für August 2016
„Wir brauchen mehr als einen Zug pro Tag“
Der Chef der Weißeritztalbahn ist mit dem Baufortschritt nach Kipsdorf zufrieden. Nun hat er ein anderes Problem.
18.08.2016 Von Mandy Schaks
Dippoldiswalde/ Freital. Roland Richter ist kein Mann, der öffentlich Dampf ablässt. Das überlässt er seinen Maschinen. Richter ist Herr der Weißeritztalbahn und so gerade der heimliche Star im Osterzgebirge. Jedes Stück Gleis, das Richtung Kipsdorf verlegt wird, macht Anwohner und Bahnliebhaber geradezu euphorisch. 14 Jahre nach der Flut bringt Richter den Erzgebirglern ihre geliebte Bimmel zurück. Was viele aber gar nicht ahnen: Dem Chef der Sächsischen Dampfeisenbahngesellschaft steht wohl noch das schwerste Stück bevor. Er weiß nicht, wie er die Dampfrösser am Ende nach Kipsdorf bringen soll – ohne zusätzliches Geld für den Bahnbetrieb. Richter hat Druck.
Mit dem Baufortschritt ist er zufrieden. „Die Firmen arbeiten gut und straff hintereinander weg“, lobt er. „Wir liegen im Zeitplan.“ Er geht davon aus, dass der Wiederaufbau des zweiten Bauabschnittes im vierten Quartal abgeschlossen werden kann, spätestens zum Jahresende. Im Frühjahr, zur Pflanzzeit, sollen noch Restarbeiten folgen. „Dann kommt der letzte optische Schliff, die Begrünung.“ Auch mit den Finanzen liegt der Bauherr und Bahnbetreiber „weitestgehend im Plan“. Es kann zwar noch die eine oder andere Überraschung geben, aber er rechnet aus heutiger Sicht damit, dass die rund 18 Millionen Euro – Fluthilfe- und Landesmittel – reichen.
Dennoch mag er sich nicht auf einen Eröffnungstermin für das elf Kilometer lange Teilstück von Dipps nach Kipsdorf festlegen. Im Gegenteil, er sagt das, was er seit Jahren sagt: „Wir reden nicht davon, wann wir fahren werden, sondern ob wir fahren.“ Denn es fehlt die Finanzierung für den Bahnbetrieb. Richter zufolge braucht jede Schmalspurbahn etwa zwei Millionen Euro im Jahr, um fahren zu können. Er muss es wissen. Die Sächsische Dampfeisenbahngesellschaft betreibt neben der Weißeritztalbahn noch die Fichtelbergbahn in Oberwiesenthal und die Lößnitzgrundbahn in Radebeul. Diese Summe für die Weißeritztalbahn wird aber allein auf dem ersten Abschnitt zwischen Freital und Dipps verdampft, der seit Dezember 2008 wieder in Betrieb ist. Und im aktuellen Entwurf für den nächsten sächsischen Doppelhaushalt kann Roland Richter auch nicht erkennen, dass sich daran etwas ändern soll. „Es ist keine Erhöhung der Mittel vorgesehen“, sagt er. „Da müssen aber zusätzliche Gelder rein.“ Es sei für die Sächsische Dampfeisenbahngesellschaft immer überraschender, wie beharrlich sich der Freistaat zurückhält.
Fahrpreise müssen angepasst werden
Seit 2008 seien die Zuschüsse konstant. Die Inflation musste über Rationalisierungseffekte ausgeglichen werden. Das sei ausgereizt und lasse sich nicht über Fahrpreise einspielen, die ohnehin ab November angepasst werden müssten. „Es ist ein Unding, von uns zu verlangen, zum gleichen Geld noch bis Kipsdorf zu fahren“, sagt Richter. Das wird und kann er nicht tun. Deshalb sieht der erste Fahrplan-Entwurf, den der Verkehrsverbund Oberelbe präsentierte, so dürftig aus. Der Zugverkehr zwischen Dipps und Freital soll abgespeckt werden, damit wenigstens ein Zug am Tag bis Kipsdorf rollen kann. Gastronomen und Hoteliers im oberen Osterzgebirge reagierten fassungslos. „Das muss mehr als einmal am Tag bis Kipsdorf sein“, ist Richter klar. „Das wissen wir auch, aber es muss finanzierbar sein.“ Diese Voraussetzungen sind aber derzeit nicht gegeben. Hinter den Kulissen werden sehr intensive Gespräche mit dem Verkehrsverbund und dem Wirtschaftsministerium geführt – bisher ohne Erfolg. „Wir brauchen aber schnellstens eine Entscheidung.“ Denn wenn mehr Züge rollen sollen, kann Richter die Signale nicht einfach auf Grün schalten. „Wir brauchen Planungsvorlauf.“ Mehr Züge bedeutet, die Dampfeisenbahngesellschaft braucht auch mehr Personal und muss mehr Züge organisieren. „Wir müssen einen attraktiven Zugbetrieb ankurbeln, sonst wird das nichts.“
Der Schwerstarbeiter
Für den Wiederaufbau der Weißeritztalbahn rollt jetzt die Gleisstopfmaschine. Der Koloss ist zugleich ein Sensibelchen.
11.08.2016 Von Franz Herz
Freital. Für den Laien sehen die Gleise der Schmalspurbahn zwischen dem Dippser Bahnhof und Ulberndorf schon gut aus. Dort rollen sogar schon Arbeitszüge. Aber die sind mit größter Vorsicht unterwegs, und das ist auch gut so. Denn teilweise liegen die Schienen noch zu hoch oder zu weit auseinander. Ja, wo die Schienenabschnitte aneinander stoßen, sind sogar noch Lücken. Aber all das wird derzeit in Ordnung gebracht, und dafür ist ein 42 Tonnen schwerer, gelber Koloss verantwortlich, der dort ebenfalls auf den Schienen steht: eine Richt- und Gleisstopfmaschine. Auf den ersten Blick ist es eine robuste Arbeitsmaschine, die mit grobem Schotter umzugehen versteht. Auf den zweiten Blick ist der Koloss ein sensibles Gerät, das mit modernster Lasermesstechnik auf den Millimeter genau arbeitet.
Das ist an den zwei blauen Laserpunkten zu sehen, welche die Maschine vorne und hinten auf die Schienen wirft. Damit misst der Koloss, wie die Schienen liegen. In seinem Computer hat er die Planungsunterlagen gespeichert, wie die Gleise richtig liegen müssen. Wenn das nicht zusammenpasst, dann greift eine Rollenzange zu und hebt die Schienen an oder rückt sie zur Seite. Die Bewegung ist kaum zu sehen, es geht ja höchstens um wenige Zentimeter. Nun passt die Lage der Schienen. Aber wie behalten sie ihre exakte Position?
Dafür ist die robuste Arbeitsmaschine gefragt. In ihrer Mitte ragen acht Metallfinger nach unten, die sogenannten Stopfpickel. Das sind massive Stahlmeißel, geschätzte 40 Zentimeter lang. Diese beginnen zu vibrieren und drücken auf jeder Seite einer Schwelle in den Schotter und pressen ihn unter der Schwelle zusammen. Das Schotterbett wird dann so hoch, wie es für die Schiene erforderlich ist. Das funktioniert auch andersherum, dann drückt die Maschine das Gleis nach unten und rüttelt es in den Schotter hinein, erklärt Ralf Kempe, Betriebsleiter der Weißeritztalbahn.
Bei diesem Arbeitsschritt haben die Bediener der Maschine einen Gehörschutz auf ihren Ohren, denn der dumpfe Lärm der acht Pickel ist weithin in Dippoldiswalde zu hören. So geht es Schwelle für Schwelle voran. Die Rollenzange hält die Schiene exakt in der richtigen Position und die Stopfpickel drücken von unten her den Schotter gegen die Schwelle, damit die den exakt in der richtigen Position bekommt.
In der Regel sind dafür zwei Stopfdurchgänge erforderlich, beim ersten ist noch nicht die erforderliche Genauigkeit zu erreichen, die kommt erst beim zweiten Mal. So hat die Maschine am Mittwochmittag die Schiene über den Firstenweg in Dippoldiswalde gestopft, dann rückte sie ein Stück Richtung Bahnhof Dippoldiswalde. Dort war hinter der ersten Weiche noch ein Nebengleis zu richten. Nun arbeitet sie sich schrittweise voran bis nach Kipsdorf.
Die Maschine gehört Metrico, einem Tochterunternehmen der Gleisbaufirma Sersa, die mit zwei Partnerfirmen für den Wiederaufbau der Weißeritztalbahn bis Kipsdorf verantwortlich ist. Sie ist in ganz Europa unterwegs, in Belgien, Frankreich, der Schweiz. Zuletzt war sie in Vorchdorf in Österreich, erzählt Thomas Busch, der zu ihrer Bedienmannschaft gehört. Sie ist auf Schmalspurbahnen spezialisiert, kann aber auf 750 Millimeter Spurweite und auf 1 000 Millimeter wie auf der Harz-Querbahn eingesetzt werden.
Diese Woche arbeitet das Stopfteam auf dem Abschnitt zwischen dem Dippser Bahnhof und dem Übergang über die B 170 in Ulberndorf. Am Freitagabend kommt dann der Bahnübergang an die Reihe. Dafür wird die Bundesstraße B 170 komplett gesperrt. Am Bahnübergang wurde bisher noch gar nicht gearbeitet, daher sind außer dem Stopfen der Gleise auch noch andere Arbeitsschritte erforderlich. Die Sperrung ist daher für das ganze Wochenende geplant. Ab Montag haben die Autos wieder freie Fahrt, bis am Wochenende darauf die B 170 am Bahnübergang in Obercarsdorf ebenfalls über das Wochenende gesperrt ist. Die Umleitung läuft über Reichstädt und Sadisdorf.
Wissenschaftler an der Weißeritztalbahn
Vorbildliche Leistungen gab es schon vor 135 Jahren beim Streckenbau. Spannend ist aber auch der Wiederaufbau.
06.08.2016 Von Franz Herz
So lädt er regelmäßig zum bauwissenschaftlichen Praxistag auf die Baustelle. Der nächste findet am Freitag, dem 26. August, statt, der jüngste war am vergangenen Wochenende. Dabei gehen die Teilnehmer die ganze Strecke ab und besichtigen bautechnische Besonderheiten. „Das habe ich schon beim ersten Bauabschnitt zwischen Freital und Dippoldiswalde regelmäßig angeboten“, sagt Thiel. Bei seiner jüngsten Exkursion stand eine neue Art der Schwellen besonders im Blickpunkt: Produkte aus wiederverwendetem Plastik. Dieses Material wird aus den Kunststoffen hergestellt, die wir im Gelben Sack zur Wiederverwertung geben. Die Firma Reluma in Großrückerswalde im Erzgebirgskreis stellt daraus neue Produkte her. Das Material ist seit einigen Jahren für verschiedene Zwecke im Einsatz. Seit über 15 Jahren wird es im Wasserbau verwendet beispielsweise für Bootsstege. Der Einsatz im Eisenbahnbau kam etwas später. Die Dresdner Verkehrsbetriebe setzen die Kunststoffschwellen seit über zehn Jahren für die Straßenbahnen ein. Das hat sich gut bewährt. Nun werden die Kunststoffschwellen auf der Schmalspurstrecke im Osterzgebirge verlegt. Die Sächsische Dampfeisenbahngesellschaft verspricht sich davon einige Vorteile gegenüber den herkömmlichen Holzschwellen. Holz verwittert ja. Daher werden die Schwellen mit Imprägnieröl getränkt, damit sie länger halten. So behandeltes Holz ist aber am Ende nur noch als Sondermüll zu entsorgen, was hohe Kosten für den Betreiber bringt. Die Kunststoffschwelle kommt ohne Imprägnierung aus. Fachleute wie Thiel erwarten sogar, dass die Kunststoffschwellen, wenn sie eines Tages ausgewechselt werden, erneut zu Granulat verarbeitet werden können. Daraus kann dann wieder ein neues Plastikprodukt entstehen.
Ein Nachteil ist bisher, dass die Plastikschwellen keine so großen Lasten aushalten. Deswegen werden sie nicht auf den Haupteisenbahnstrecken eingesetzt, wo die Züge schwerer sind. Aber für Straßenbahnen und leichte Nebenbahnen wie im Weißeritztal reichen sie aus. Eine andere neuartige Bautechnik, die bei einem früheren Praxistag eine Rolle spielte, sind die sogenannten bewehrten Dämme. Die standen im Mittelpunkt eines früheren Praxistags von Professor Thiel. Dabei wird in den Untergrund Stahl eingebracht, der dem Bahndamm mehr Stabilität gibt. Laien erkennen dies an den Gabionen, steingefüllten Drahtbehältern. Diese sind an der Oberfläche zu sehen. Die widerstandsfähige Technik wurde bereits im ersten Bauabschnitt der Weißeritztalbahn eingesetzt. Damit ist der Bahndamm besser gegen Ausspülungen bei einem Hochwasser geschützt. Das hat sich beim Hochwasser 2013 schon gut bewährt.
Mit seinen Fachexkursionen entlang der Bahnstrecke steht der Cottbusser Professor in einer Tradition, die bis in die Bauzeit der Bahnstrecke zurückreicht. Bereits 1881 hat der Sächsische Architekten- und Ingenieurverein seine Mitglieder aufgerufen, die Baustelle im Rabenauer Grund zu besichtigen. Damals stand die schöne Gestaltung der Brückenbauten im Mittelpunkt des Interesses. Diese galten seinerzeit als vorbildlich.
Wer sich für die heutigen bautechnischen Besonderheiten der Weißeritztalbahn interessiert, kann sich dem nächsten Praxistag anschließen. Das ist aber eine anstrengende Veranstaltung. Sie startet am 26. August am Bahnhof in Dippoldiswalde, nach der Ankunft des 9.42 Uhr-Zuges aus Freital-Hainsberg. Danach geht es zu Fuß über die ganze elf Kilometer lange Baustelle bis nach Kipsdorf. Feste Schuhe und eine Warnweste müssen die Teilnehmer selbst mitbringen. Detaillierte Informationen auch zur Anmeldung gibt Hans-Christoph Thiel auf der Internetseite der Brandenburgischen Technischen Universität. Bei diesem Termin Ende August können die Teilnehmer schon wieder einen wesentlichen Baufortschritt beobachten. Inzwischen sind bereits Arbeitszüge unterwegs, die Schotter heranschaffen. Ab nächster Woche wird dann die Gleisstopfmaschine arbeiten und die Schienen in ihre endgültige Form bringen, sodass Ende des Jahres wieder die ersten regulären Züge bis nach Kipsdorf rollen können.
Weitere Informationen gibt es hier